Tarek

„Diese Erfahrung und diesen Beruf, das gebe ich nicht einfach auf.“

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Eine gute Nachricht vorweg: Solltest Du es durch das deutsche Bildungssystem geschafft haben und dabei noch eine Hochschulreife erreicht haben, dann hast Du gute Chancen ein Hochschulstudium aufzunehmen. 2017 hatten mit 500.000 der 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland 18 Prozent einen Migrationshintergrund – und die Forschung geht davon aus, dass dieser Anteil weiter steigen wird. An deutschen Hochschulen hat, auch durch internationale Studierende, meist etwa ein Viertel der Studierenden einen Migrationshintergrund und viele Unis haben eigene Orientierungs- oder Förderprogramme für Studierende mit Migrationshintergrund.

Erste Probleme kannst Du allerdings während des Studiums bekommen. Die Abbruchquote ist unter den Studierenden mit Migrationshintergrund außergewöhnlich hoch. Mit 43 Prozent lag sie bei der letzten Untersuchung (2014) deutlich über der Quote der deutschen Studienabbrecher*innen von 29 Prozent. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), der diese und andere Statistiken in einem Bericht von 2017 ausgewertet hat, identifiziert dafür vielschichtige Ursachen. Neben schlechteren sozialen und ökonomischen Startbedingungen können vor allem Probleme mit der Wissenschaftssprache und fehlende soziale Netzwerke zum Studienabbruch führen.

„Mir wurde gesagt, dass selbst deutsche Journalisten das nicht hinbekommen.“

Auch für Deinen Berufseinstieg können diese Faktoren zu einem Problem werden. Tarek Khello aus Leipzig hat damit seine eigenen Erfahrungen: „Alle haben mir immer zwei Dinge gesagt. Erstens fehlt mir die Sprache, zweitens die Kontakte.“ Tarek wurde 1985 in Syrien geboren, er hat dort Journalistik studiert und als freier Journalist gearbeitet – auch während der Aufstände gegen das Assad-Regime. Für seine Arbeit, bei der er auch kritisch über das Assad-Regime berichtete, wurde er mehrfach verhaftet. Während seiner Flucht konnte er sich im Libanon an die UN wenden und mit dem Flüchtlingshilfsprogramm Resettlement 2013 in Deutschland aufgenommen werden. Die Aufnahme und die Menschen in Deutschland beschreibt er nach seinen Erfahrungen im Bürgerkrieg als unglaublich positiv.

Das Weiterführen seines Traumberufs gestaltete sich dagegen als schwierig. „Nach der Sprachschule hat mein Sachbearbeiter immer gefordert, dass ich sofort arbeiten müsse. Immer wenn ich dann sagte, dass ich als Journalist arbeiten möchte, wurde mir gesagt, dass das zu schwierig sei und selbst deutsche Journalisten das nicht wirklich hinbekommen.“ Tarek hat immer wieder betont, dass er erst ein Praktikum bräuchte und das ganze zunächst ausprobieren müsse. Danach stünde dann vielleicht auch ein Job in Aussicht. „Das war denen zu unsicher. Ich müsse gleich anfangen zu arbeiten. Da wurde immer viel Druck gemacht.“

48 Prozent der Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund erleben Diskriminierung

Ein Migrationshintergrund kann verschiedene Dinge bedeuten. Es muss keine Fluchtgeschichte wie bei Tarek sein, aber wer nach Deutschland zugewandert ist, hat in den meisten Fällen einen Migrationshintergrund. Auch in Deutschland geborene Menschen, bei denen nur ein Elternteil zugewandert ist, haben nach gängiger deutscher Definition einen Migrationshintergrund. Nach Einschätzung des SVR ist jedoch bei Diskriminierungserfahrungen vor allem der sogenannte sichtbare Migrationshintergrund zentral, also äußerliche Merkmale, die auf eine ausländische Herkunft schließen lassen. 48 Prozent der Menschen, denen der Migrationshintergrund angesehen wird, berichten von Diskriminierungserfahrungen, kommt ein Akzent dazu, sind es sogar 59 Prozent. Bei Migrantinnen und Migranten, die sich äußerlich nicht von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden, berichten dagegen nur 17 Prozent von erlebter Diskriminierung.

Diskriminierungserfahrung von Zugewanderten nach phänotypischer Differenz und Akzent

Mit einem ausländisch klingenden Namen wirst Du in Deinem Leben bereits eine schlechtere Ausgangsposition bei Institutionen wie dem Jobcenter haben, die eigentlich da sind, um Dir zu helfen. In einem Experiment schickten die Wissenschaftler Johannes Hemker und Anselm Rink E-Mails an 408 deutsche Jobcenter – jeweils mit deutsch, türkisch und rumänisch klingenden Namen („German: Michael Schäfer and Anna Schäfer – Turkish: Mustafa Yilmaz and Ayse Yilmaz – Romanian: Mihai Ionescu and Ana Ionescu“). Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen, dass die Jobcenter zwar grundsätzlich alle Mails beantworten, die Antwortqualität bei den Antworten an die ausländisch klingenden Namen aber deutlich schlechter ist. Im Gegensatz zu den Antworten an die vermeintlich deutschen potenziellen Antragstellerinnen und Antragssteller, bekommen vermeintlich ausländische Antragsteller*innen nur unzureichende oder wenig ausführliche Hilfestellungen angeboten.

Nicht nur von öffentlichen Stellen, sondern auch in Deinem alltäglichen Leben kann Dir Diskriminierung begegnen. In bisherigen Erhebungen berichten besonders Menschen mit türkischen Wurzeln von häufig erlebter Diskriminierung. 22,9 Prozent gaben 2016 an, in den vergangenen fünf Jahren stark oder eher stark diskriminiert worden zu sein. Bei Einwanderern aus der EU waren es unter 10 Prozent. Diskriminierung ist dabei vielfältig und passiert in vielen Lebensbereichen. Ganz abgesehen von struktureller Benachteiligung wie schlechteren Startbedingungen im Arbeitsmarkt können Diskriminierungserfahrungen aber auch an Dein seelisches und körperliches Wohl gehen.

Tarek

„Die haben sich alle umgesehen, als ob das mit dem Kanaken sofort die höchste Priorität sei“

Tarek hat während seiner Arbeit als Journalist in Deutschland zwei solcher Momente erlebt. In Leipzig wurde er bereits einmal angepöbelt, als er mit einem Kameramann zwei Menschen aus Nordafrika für einen Beitrag über illegale Migrant*innen begleitete.

„Das zweite Mal war dann in Erfurt bei einem Beitrag über rassistische Angriffe auf Flüchtlingskinder. Der Plan war, dass wir zwei Kinder an dem Platz filmen, an dem sie damals angegriffen wurden und sie uns dabei die Geschichte erzählen.“ Während des Drehs haben dann fünf Männer, die in der Nähe standen, angefangen zu pöbeln und gefordert, dass die Kamera ausgeschaltet wird. Tarek und seine Kolleg*innen seien weitergelaufen und haben nicht reagiert. „Die sind hinter uns her und haben versucht die Kamera runter zu reißen und Flaschen nach uns geworfen. Die Jungs sind sofort verschwunden, weil sie keinen Ärger wollten.“ Als einer der Männer Tareks Kollegin mit einer Flasche angreifen wollte, bemerkte ein Anderer Tarek und habe ihn als „Scheiß-Kanake“ bezeichnet. „Dann haben alle fünf Männer meine Kollegen in Ruhe gelassen und haben sich umgesehen, als ob das mit dem Kanaken sofort ihre größere Priorität sei. Sie kamen auf mich zu gerannt und da bin ich weggelaufen. Ich konnte mich in einen Rewe retten und die Polizei wurde gerufen.“

„Das war einfach meine Zukunft“

Egal, ob sichtbarer Migrationshintergrund oder nicht, irgendeine Form der Benachteiligung wird Dir leider sehr wahrscheinlich in Deinem Leben begegnen. Du solltest Dich davon jedoch nicht entmutigen lassen, sondern gerade das als Ansporn nehmen, Deinen eigenen Weg zu gehen.

Für Tarek ist der Journalismus nicht nur ein Job, sondern eine Berufung. „Das war einfach meine Zukunft. Entweder schaffe ich es, wieder Journalist zu werden oder ich mache das, was das Jobcenter sagt und arbeite nach sechs Monaten Umschulung an der Kasse.“ Die Motivation hinter der Einstellung des Jobcenters ist für Tarek relativ klar: irgendwie anfangen Geld zu verdienen, um schnell aus diesem System raus zu sein. „Ich habe vier Jahre Journalismus studiert und vier, fünf Jahre als Journalist gearbeitet, ich gebe das nicht auf. Diese Erfahrung, diesen Beruf, das gebe ich nicht einfach auf!“



Dieser Text wurde für Dich ausgewählt, weil Du angegeben hast, einen Migrationshintergrund zu haben. Wenn Dich interessiert, was andere Menschen beschäftigt, kannst Du einfach den Test mit anderen Antworten wiederholen oder Dir unsere anderen Geschichten durchlesen:

Das Projekt Choose Your Own Future ist entstanden, weil wir uns damit auseinandergesetzt haben, wie bestimmte Merkmale das Leben vieler Menschen beeinflussen. Merkmale, an denen wir häufig wenig ändern können.

Es gibt viele Merkmale, die dazu führen können, dass Menschen diskriminiert werden. Wir können uns nicht mit allen davon auseinandersetzen, sondern mussten einige auswählen. Das heißt nicht, dass Eigenschaften, die hier nicht erwähnt werden, zu weniger Diskriminierung führen. Leid lässt sich nicht gegeneinander aufwiegen. Wir haben uns dafür entschieden, die Merkmale in folgender Reihenfolge abzufragen: Geschlecht > Bildungsgrad der Eltern > Sexuelle Orientierung > Migrationshintergrund. Sie könnten aber auch in jeder anderen Reihenfolge stehen.

Auch in unseren Texten mussten wir uns beschränken. Deswegen haben wir uns entschieden, nicht mehr als zwei statistische Merkmale in einem Text zusammenzufassen. Ein weibliches Arbeiterkind mit Migrationshintergrund wird also trotzdem nur bei dem Text über Arbeiterkinder mit Migrationshintergrund landen, der sich vor allem mit dem Migrationshintergrund beschäftigt.